Kosmisches Licht für Biomoleküle

  • Author:

    Tatjana Erkert

  • Date: 17.12.2010

Kosmisches Licht für Biomoleküle

Dr. Jochen Bürck (1.v.l.) und Prof. Anne Ulrich (5.v.l) erklären die Funktionsweise des photoelastischen Modulators an der Synchrotron Beamline, der das linear polarisierte UV-Licht in rechts und links zirkular polarisierte Strahlung umwandelt.

Auftaktveranstaltung für die wissenschaftliche Inbetriebnahme einer neuen Synchrotron-Beamline für Circulardichroismus am KIT. 

Das 15 Meter lange Strahlrohr der Synchrotron-Beamline mit dem Kürzel "CD12" erinnert auf den ersten Blick eher an ein Ofenrohr als an ein Hightech-Gerät. Das Ofenrohr ist allerdings ein Messplatz für Circulardichroismus (CD) und hat einen Wert von über einer Millionen Euro. Als sogenannte 'Nutzer-Einrichtung' am Campus Nord des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) wird es künftig Strukturbiologen und Chemikern aus aller Welt einzigartige Forschungsperspektiven ermöglichen. 

Von der Leistungsfähigkeit der CD12 überzeugten sich über 50 KIT-Wissenschaftler und ihre internationalen Gäste bei der Auftaktveranstaltung am Campus Nord Ende November. Eingeladen hatte das Institut für Biologische Grenzflächen (IBG-2) in Zusammenarbeit mit dem Institut für Synchrotronstrahlung (ISS) am KIT. Fracht und Installationskosten der CD12 waren gemeinsam mit dem "DFG-Center for Functional Nanostructures" (CFN) und dem Helmholtz-finanzierten Programm "BioGrenzflächen" geschultert worden.  

Verhalten von Eiweißmolekülen
In der Auftaktveranstaltung wurden die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten der Synchrotron-basierten CD-Spektroskopie in der strukturbiologischen Forschung vorgestellt und diskutiert. Die Methode liefert grundlegende Aussagen über den dreidimensionalen Aufbau von Biomakromolekülen wie Proteinen (Eiweißstoffen), Zuckern und Nukleinsäuren. Professorin Anne S. Ulrich, Direktorin des IBG-2 und Lehrstuhlinhaberin für Biochemie am KIT, beschrieb in ihrem Einführungsvortrag, wie sich mit Circulardichroismus das Verhalten von Eiweißmolekülen beobachten lässt, die an zellulären Membranen ihre Wirkung entfalten oder aber 'ihr Unwesen treiben'. So gruppieren sich beispielsweise antimikrobielle helikale Peptide zu einer Pore und bohren regelrechte Löcher in die Zellhülle von Bakterien, um diese abzutöten. Viele pharmazeutisch interessante Peptide hingegen, die nach ähnlichen Bauprinzipien entwickelt wurden, werden unwirksam, sobald sie mit einer Zellmembran in Kontakt kommen. Strukturelle CD-Untersuchungen haben gezeigt, dass sie aneinander kleben bleiben und Aggregate bilden – ähnlich wie die Ablagerungen bei der Alzheimerkrankheit oder beim Rinderwahn. Auf einem noch komplexeren Zusammenspiel beruht der Transport von Molekülen durch Zellmembranen hindurch oder die Wirkung von Hormonen auf zelluläre Rezeptoren. Größere Proteine vermitteln dabei ihre Strukturänderungen mechanisch über steife helikale Bauteile aneinander weiter.

Symmetrie von Molekülen im Universum
Weitere Vorträge beim Workshop behandelten den Bruch der molekularen Symmetrie beziehungsweise der „Händigkeit“ in unserer belebten Welt, die nahezu ausschließlich aus den optisch aktiven L-Aminosäuren und D-Zuckern aufgebaut ist. So erklärte Dr. Søren Hoffmann vom dänischen Synchrotron in Århus, dass bereits in der Urzeit Meteoriten aus dem Weltall einen Überschuss dieser Moleküle auf die Erde getragen hätten, da eine intensive kosmische, zirkular polarisierte Strahlung – ähnlich wie sie in der Synchrotron-Beamline eingesetzt wird – die dazu spiegelsymmetrischen Moleküle abgebaut habe.

Einsatz der Synchrotronstrahlung
Weitere Redner waren die international renommierten Experten Professor Bonnie Wallace und Professor Robert Janes von der University of London, die anhand vieler Beispiele zeigten, dass sich die Synchrotronstrahlung hervorragend eignet zur Messung von Protein-Komplexen und Protein-Ligand-Wechselwirkungen, zur Erfassung von dynamischen Prozessen der Proteinfaltung und der Kinetik von Enzymreaktionen oder auch zur Identifizierung von intrinsisch unstrukturierten Bereichen in Proteinen. Dies wird erst durch die um Größenordnungen höhere Flussdichte von Synchrotronlicht möglich, wodurch CD-Spektren bis in den kurzwelligen Vakuum-ultravioletten Spektralbereich bei exzellentem Signal/Rauschverhältnis gemessen werden können und somit auch Proteine in der Gegenwart stark absorbierender Begleitkomponenten, wie Lipiden, Detergenzien, Puffersubstanzen oder Salzen erfassbar sind. In Kombination mit weiteren biophysikalischen Methoden wie der Kernmagnetischen Resonanz (NMR) und der Infrarot-Spektroskopie, die am KIT gut etabliert sind, kann die neue Snchrotron-Beamline nun wichtige Beiträge zur Erforschung aktueller biologischer Fragestellungen liefern.

Besichtigung der Synchrotron-Beamline CD12
Bei einer abschließenden Besichtigung des Messplatzes und einer Podiumsdiskussion beantworteten die dafür verantwortlichen Wissenschaftler Dr. Jochen Bürck und Dr. David Moss Fragen des Auditoriums zu den praktischen Aspekten der Experimente und den zukünftigen Zugangsmöglichkeiten. Die CD12 Synchrotron-Beamline war nach Stilllegung des englischen Teilchenbeschleunigers in Daresbury an die Strahlungsquelle ANKA in Karlsruhe transferiert und im Oktober fertig installiert worden. Bereits während seiner nur fünfjährigen Betriebszeit in Daresbury hatte sich das Strahlrohr als das weltweit leistungsfähigste Strahlrohr für Circulardichroismus-Messungen erwiesen. Das IBG-2 betreibt das neu installierte Strahlrohr und betreut die wissenschaftlichen Experimente als sogenannte Nutzer-Einrichtung nicht nur für eigene und KIT-interne Arbeiten, sondern auch für externe Wissenschaftler aus aller Welt. Weltweit ist die CD12 eine von nur 14 vergleichbaren Anlagen, die allesamt im Dienst der molekularen Strukturforschung stehen.

Der Nutzer-Betrieb soll noch Ende dieses Jahres aufgenommen werden, damit es nun auch in Karlsruhe Licht werde – kosmisches Licht am Ende des 15 Meter langen CD12-Tunnels.